Meine Arbeitsweise in der Street Fotografie

 

Street Fotografie findet da statt, wo Menschen sind, nicht im Studio, sondern draußen. Sie ist nicht gestellt und nicht inszeniert – eine authentische Fotografie, die das Leben mit Hilfe der Fotografie darstellt, so wie ich es als Fotograf sehe und fotografiere. Ich bearbeite meine Fotos nur sehr wenig, ich möchte das Foto nicht so verändern, dass es eine idealisierte Version der Wirklichkeit zeigt – ich orientiere mich an der Realität, so wie ich sie sehe und wahrnehme. 

In der Street Fotografie versuche ich, Episoden des Lebens sichtbar zu machen, das Alltägliche hervorzuheben und damit die Besonderheit eines Augenblicks zu betonen. Ich beobachte eine mir interessant erscheinende Situation und nehme sie als Abfolge von Einzelbildern wahr, um dann unter Nutzung der Kenntnis der Möglichkeiten der Fotografie den Augenblick fotografisch zu fixieren, der repräsentativ für ein Thema ist. Ich versuche Szenerien aufzufinden, die ein narratives Momentum haben, die Geschichten erzählen, die etwas aus dem Leben berichten und damit dem Betrachtenden des Fotos etwas aufzeigen, was er wiedererkennt, entdeckt und wozu ein Bezug hergestellt werden kann. Menschen schauen auf fotografierte Menschen – das kann wie ein Spiegel sein und Resonanzen hervorbringen, wenn Themen aufgegriffen werden, die ´menschentypisch´ und relevant sind. 

Ich suche gezielt Orte auf, an denen ich Menschen begegne. Dabei achte ich auf eine kompositorisch und ästhetisch ansprechende Umgebung, schätze die Wirkung von Licht und Schatten ein und betrachte die Szenerie als eine Art Bühne, auf der sich die Menschen zwar frei und dennoch nach einem Muster bewegen. Ich warte dann nicht auf den richtigen Moment im Sinne eines distanzierten Zuschauers, sondern erwarte ihn aktiv: Ich versuche, die Intention des ´Regisseurs´ dieser realen Szene zu erfassen und den entscheidenden Augenblick zu antizipieren, eine Schlüsselszene zu erkennen und abzupassen. 

Es muss sich zeitgleich für mich eine thematische Idee für dieses ´Bühnenbild´ ergeben, erst dann drücke ich auf den Auslöser. Intuition, Phantasie und visuelles Vorstellungsvermögen sind dabei mein wichtigstes Werkzeug, sie helfen mir, die Bedeutung eines Augenblicks zu erspüren. Das Bühnenbild, die Umgebung, spielt dabei eine wichtige Rolle. Es soll das Thema einrahmen, so dass das Foto für den Betrachtenden eine Einladung ist, sich mit der fotografierten Szenerie genauer auseinanderzusetzen – innezuhalten und Assoziationen zuzulassen. Wenn Motiv, Thema, Komposition, Balance und Poesie zusammenfinden, wird ein Foto zu einem Bild im Sinne eines künstlerischen Ausdrucksmittels. 

Warten im Sinne von Erwarten ist eine Fähigkeit, die sich erlernen lässt, wenn man bereit ist, Vertrauen zu entwickeln in das, was geschieht, in den Fluss der Zeit einzutauchen und sich selbst in die Rolle eines geduldigen, offenen und neugierigen Zuschauers eines Bühnenstücks einfindet. 

Als Fotograf bin ich dabei in einem Spannungsfeld: Einerseits ganz bei mir – konzentriert, analytisch, verstehend, intuitiv und andererseits außer mir – voller gespannter Erwartung dessen, was gleich geschehen könnte, was sich zeigen wird und ich möglicherweise fotografieren möchte. Henri Cartier-Bresson bringt diesen Zustand treffend auf den Punkt: „Man muss empfänglich sein, zu erraten versuchen, intuitiv sein: sich dem ´hazard objectif´ (objektiven Zufall) überlassen, von dem Breton sprach. Und die Kamera ist ein wunderbares Instrument, um diesen ´objektiven Zufall´ zu erfassen.“ (Henri Cartier-Bresson im Gespräch mit Yves Bourde, In: Henri Cartier-Bresson: Man redet immer zu viel – Gespräche über das Leben, die Kunst und die Photographie 1951-1998, Schirmer Mosel 2020, S. 88) 

Warten bedeutet für mich als Fotografen Zeit nicht als von Effizienz und Nützlichkeit dominierte Größe wahrzunehmen, sondern als eine Dimension, die den Dingen aus der Vergangenheit heraus eine Gegenwart und Zukunft ermöglicht – einfach so, weil es so ist und so sein soll. Wenn in einem bedeutsamen Moment der Fotoapparat zum Einsatz kommt – intuitiv oder bewusst – und mit seinen Möglichkeiten einen Augenblick als sichtbares Zeugnis der Vergangenheit festhält, entsteht eine Art Zeitkapsel mit visuellem Inhalt. 

Fotografen müssen sich also mit der Zeit als Phänomen auseinandersetzen, sie vor ihren Augen dehnen und das Muster sowie das Thema einer Szenerie erkennen. Fotos können Episoden des Lebens aufzeigen und die Ästhetik der Wirklichkeit zeigen. Als Street Fotograf muss ich präsent sein, die Realität wahrnehmen und akzeptieren wie sie ist, damit ein Foto - obwohl es einen zeitlichen Moment abbildet – zeitlos wirkt und als Bild künstlerischen Ansprüchen genügt.